Onlinewerbung – Wenn Freiheiten kollidieren

Wie hätten wir das Internet lieber: Kostenfrei? Oder werbefrei? Oder irgendwas dazwischen?

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Der Bundesgerichtshof muss sich ab April 2018 mit einer komplexen Frage befassen: Wessen Freiheit überwiegt? Die Freiheit der Presse, ihre Produkte nach eigenem Gutdünken zu finanzieren? Oder die Freiheit der Nutzer, selbst zu bestimmen, wie sie ihre Nachrichten konsumieren wollen?

Der Prozess in Karlsruhe ist Folge einer ganzen Reihe von Klagen deutscher Medienhäuser gegen die Kölner Firma Eyeo, die mit dem Werbeblocker Adblock Plus eines der populärsten Programme vertreibt, um Werbung aus dem Browser zu verbannen. Die Verlage, die wegen der Werbeblockade vieler Nutzer mit Einnahmeeinbußen kämpfen müssen, wollen das Unternehmen dazu bringen, das Blocken einzustellen.

Ihr Argument: Das Programm greife unzulässig in ihre Gewerbefreiheit ein, gefährde dazu gar die Pressefreiheit. Eyeo hingegen argumentiert: Adblocking ist ein legitimes Anliegen, mit dem die Nutzer ihre informelle Selbstbestimmung verteidigen.

 

Wie akzeptabel ist akzeptable Werbung?

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Kern des Streits ist das Geschäftsmodell, das Eyeo kurz nach der Gründung 2011 eingeführt hat. Das Unternehmen definierte Kriterien, unter denen eine Werbung akzeptabel sein könne: Dazu zählt im Wesentlichen Text- und dezente Banner-Werbung, die keine Geräusche macht, sich nicht vor den Text schiebt und nicht einen Großteil des Bildschirms ausfüllt. Wer solche „Acceptable Ads“ auch bei Nutzern mit Werbeblockern ausspielen will, kann bei Eyeo die Freischaltung beantragen.

Ab einem gewissen Umsatz verlangt Eyeo dafür eine stattliche Provision: 30 Prozent der zusätzlichen Werbeumsätze sollen Unternehmen an den Hersteller des Werbeblockers abgeben. Zu den frühen Kunden Eyeos gehören Google, Microsoft, Amazon und United Internet – wie viel die Internetkonzerne genau bezahlen, ist allerdings nicht bekannt. Die Marktmacht von Eyeo ist enorm. Das Kölner Unternehmen gab 2016 bekannt, dass die eigene Software bereits auf 100 Millionen Geräten weltweit installiert sei – mit stark steigender Tendenz. Zudem haben sich auch weitere Adblocker-Hersteller dem Acceptable-Ads-Programm angeschlossen.

Verleger fühlen sich unter Druck gesetzt: Insbesondere bei Angeboten, die sich an ein technikaffines Publikum richten, beträgt die Adblocker-Quote teilweise über 50 Prozent. Den Hersteller eines Werbeblockers auch noch zu bezahlen, erscheint vielen Unternehmen nicht nur langfristig schädlich, sondern sogar sakrosankt. Insbesondere das Verlagshaus Axel Springer vergleicht das Geschäftsmodell immer wieder mit einer Schutzgelderpressung. Zudem lohnt sich das Angebot für kleinere Marktteilnehmer kaum. Für die freigeschaltete Werbung können Verlage ohnehin nur vergleichsweise geringe Preise verlangen, die zur Finanzierung journalistischer Inhalte kaum wesentlich beitragen können.

Die Folge: Immer mehr Verlage setzen Adblock-Blocker ein, die Nutzer aussperren, wenn die Werbung nicht ausgeliefert werden kann. Eine weitere Strategie sind Paywalls : Statt alle Inhalte für jedermann online zu stellen, bekommen nur noch zahlende Abonnenten insbesondere die aufwändigeren Artikel zu sehen. Die Software, die das Web für den Einzelnen von Werbung befreit, macht es zugleich für alle Nutzer unfreier.

 

Gerichte: kein unlauterer Wettbewerb

In den Vorinstanzen hatten die Verleger wenig Erfolg. So entschieden verschiedene Landgerichte, dass Eyeo nicht mit den Verlegern auf dem Werbemarkt konkurriere – insofern sei auch kein Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb möglich. Andere Gerichte legten eine für die Kläger großzügigere Marktdefinition zugrunde und prüften im Einzelnen, ob das Verhalten Eyeos von Wettbewerbsgesetzen verboten wird – mit meist negativem Ergebnis.

Auch der Verweis der Kläger auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit nützte nichts: Die Gerichte verwiesen darauf, dass die Bedeutung der Pressefreiheit zwar hoch einzuschätzen sei, aber es obliege den Verlagen, sich nach funktionierenden Geschäftsmodellen umzusehen.

Alleine das Oberlandesgericht Köln gab dem Verlagshaus Axel Springer zumindest teilweise Recht. In dem Geschäftsmodell „Acceptable Ads“ sah das Gericht eine „unzulässige aggressive Praktik“, die das deutsche Wettbewerbsrecht erst seit kurzem verbietet. Vor dem Landgericht Hamburg hatte Axel Springer auch mit einem anderen Argument Erfolg: Werbeblocker, die die Werbeblockersperre auf Bild.de umgehen, sah das Landgericht Hamburg als illegale Hacking-Tools, die einen Kopierschutz umgehen.

Wie auch immer der Bundesgerichtshof entscheiden wird – er muss sich zwischen den Anträgen der beiden Prozessparteien orientieren. Entweder gewinnt Eyeo mit seinen Argumenten oder die Verlagshäuser. Wer jedoch die Implikationen des Rechtsstreits verstehen will, muss etwas tiefer in die Materie einsteigen.

 

Konflikt neu aufgeflammt

Bereits 1998 präsentierte das Braunschweiger Start-up „Webwasher“ ein Programm, das aus dem Datenstrom des World Wide Web auf dem Rechner des Nutzers Werbung herausfilterte. Schon damals schlugen Verlage und Plattformbetreiber Alarm und drohten mit Vergeltungsmaßnahmen.

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Doch die erste Aufregung verflüchtigte sich schnell. Nur relativ wenige Nutzer installierten den Webwasher, der enorme Zuwachs der Onlinebevölkerung glich etwaige Umsatzverluste mehr als aus. Der Kampf gegen Werbeblocker wurde weitgehend eingestellt.

Die Lage änderte sich, als im Jahr 2011 Eyeo auf den Plan trat. Das Unternehmen hatte die Entwicklung der schon damals populären Browsererweiterung „Adblock Plus“ übernommen und entwickelte bald sein neues Geschäftsmodell: Es verbreitete seine Software zwar weiter kostenfrei an seine Nutzer, für die Entwicklung sollte nun aber die Werbeindustrie bezahlen.

Diese Forderung war möglich geworden, da Adblock Plus bereits als unkommerzielles Open-Source-Produkt Millionen Nutzer gefunden hatte. Grund dafür war insbesondere die immer penetrantere Onlinewerbung. Als Eyeo gegründet wurde, fingen immer mehr Websites an, Videowerbung auszuspielen. Ein Teufelskreis setzte sich in Gang: Um die Umsatzausfälle durch Werbeblocker auszugleichen, setzten viele Betreiber auf immer penetrantere Werbeformen, die im Gegenzug die Werbeblockerinstallationen in die Höhe schnellen ließen.

 

Enttarnte Überwachung

Insbesondere aber die sogenannte „Retargeting“-Werbung veränderte die Haltung vieler Nutzer: Wann immer ein Nutzer auf einer Shoppingplattform einen Schuh, einen Rasenmäher oder ein neues Smartphone aufgerufen hatte, wurde er in den nächsten Tagen auf vielen Websites mit Werbung für dasselbe Produkt bombardiert, in der Hoffnung, dass er einen nicht vollendeten Kauf doch noch abschließe. Diese Werbeform wurde möglich, weil immer mehr Websites und Werbenetzwerke den Nutzer quer durch das Netz verfolgten, immer neue Daten über ihn anhäuften und Werbeplätze auf seinem Bildschirm aufgrund seiner Vorlieben versteigerten.

Die notwendige Infrastruktur war Ergebnis eines jahrelangen Wachstumsprozesses. Onlineriesen wie Google und Facebook hatten sich fest auf fast jeder kommerziellen Website etabliert, lieferten Cookies aus, installierten ihre Like-Buttons. Tausende „Adtech“-Dienstleister sammelten Nutzerdaten, überprüften die Abrufzahlen von Bannern und Videos und organisierten Hochgeschwindigkeitsauktionen, die Werbeplätze zuteilen, noch während eine Website geladen wird. Im Wesentlichen bleiben all diese Prozesse für den Nutzer unsichtbar, doch die „Retargeting“-Kampagnen machten die Infrastruktur zum ersten Mal wirklich sichtbar.

 

Entfremdete Werbung

Als der Webwasher erfunden wurde, vermarkteten die Verlage die Werbung auf ihren Websites im Wesentlichen noch selbst. Als Eyeo auf den Plan trat, hatten die einzelnen Verlage hingegen kaum noch Kontrolle darüber, welche Werbung neben ihren Inhalten ausgespielt wird. Die Zuteilung geschieht meist über internationale Werbenetzwerke. So beklagte die Redaktion des US-Ablegers des britischen Guardian, dass sie es nicht schaffe, ihre waffenkritische Berichterstattung von Werbung durch die National Rifle Association (NRA) freizuhalten. Auch schaffen es Kriminelle immer wieder, Schadprogramme über Werbenetzwerke auszuspielen und auf diese Weise die Rechner von Nutzern zu infizieren.

Grund dafür ist ein florierender Markt für Tausende von Werbezwischenhändlern und Technikdienstleister, die Werbetreibenden anbieten, ihre Werbung möglichst billig und effektiv zu verbreiten. Oft sind mehr als ein Dutzend Firmen daran beteiligt, ein einzelnes Banner auszuspielen.

 

Wirrwarr der Verantwortungslosigkeit

Das Problem daran: Im Wirrwarr der Verantwortlichkeiten ist ein großer Freiraum für Verantwortungslosigkeit entstanden. Zwar betont fast jeder Marktteilnehmer unisono, unseriöse Werbung zu bekämpfen. Doch in der Praxis zählen Klicks und hohe Provisionen mehr als seriöse Werbung – die große Konkurrenz und der enorme Preisdruck verschlimmern das Problem.

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So beklagten sich Werbekunden Ende 2017, dass ihre Werbebotschaften auf YouTube in Verbindung mit Videos von Nazis oder Terrorbefürwortern angezeigt wurden. Der Grund: Die Algorithmen von Google machten keinen Unterschied, welche Inhalte sich die definierte Zielgruppe ansah. Wenn ein Werbekunde eine Zielgruppe von 20 bis 25-jährigen Männern mit einem Faible für Autos definiert hatte, dann folgte die Werbung den identifizierten Nutzern zu jedem Inhalt, den sie aufriefen.

Oberste Währung der Werbeindustrie ist die Zahl von Klicks und Reaktionen, die eine Werbung erreichen kann. Als Rechner und Internetleitungen schnell genug waren, setzte die Werbeindustrie deshalb massenhaft auf Videowerbung – Zuschauer können sich der Wirkung bewegter Bilder kaum entziehen.

Die Folgen im Verlagsgeschäft waren extrem: Fast jedes kommerziell arbeitende Medium entwickelte eine eigene Videosparte, die Bewegtbildinhalte produzierte, vor die sich die lukrativen Werbespots schalten ließen. Mehr noch: Damit möglichst viele Nutzer die Werbespots zu Gesicht bekamen, wurden immer öfter Autoplay-Videos eingebunden, die den Nutzer beschallten, sobald eine Webseite geladen war. Diese Werbeform ließ zwar die Interaktionsrate und die Einnahmen zumindest kurzfristig in die Höhe schnellen, trieb aber auch die Adblocker-Rate nach oben.

 

Google als wohlmeinender Diktator?

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In die Diskussion hat sich nun der Onlinekonzern Google als eine Art wohlmeinender Diktator eingeschaltet. Zusammen mit der eigens gegründeten „Coalition for Better Ads“ hat der Konzern sein eigenes „Acceptable-Ads“-Modell entwickelt. Der Unterschied: Die Standards sind wesentlich niedriger als bei Eyeo – so verbietet der neue Standard zwar Autoplay-Videos mit Ton, lässt aber Videowerbespots generell zu.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, wie Google seine neuen Standards durchsetzen will. Entdeckt der Konzern auf einer Website unzulässige Autoplay-Videos, werden diese nicht einfach aus dem Datenstrom entfernt. Stattdessen informiert Google den Betreiber und gibt ihm 30 Tage Zeit, den Verstoß gegen den neuen Standard zu beheben. Reagiert der Betreiber nicht, landet er auf einer schwarzen Liste. Die Folge: Im Browser Chrome wird auf den betroffenen Seiten schlicht jede Werbung entfernt.

Das Kalkül Googles ist klar: Statt den Nutzer von Werbung zu befreien, hat der Onlinekonzern das Ziel, die Onlinewerbung wieder attraktiver zu machen – oder zumindest die Auswüchse zu verhindern, die die Werbeblockerinstallationen in die Höhe schnellen lassen. Wer sich nicht an die neuen Regeln hält, wird abgestraft.

 

Letztendlich entscheidet der Nutzer

Die Kosten für Verstöße sind dabei enorm. Bereits seit Jahren ist der Google-Browser Chrome der meistgenutzte Browser weltweit. Landet ein Angebot auf Googles schwarzer Liste, muss der Betreiber mit verheerenden Einnahmeverlusten rechnen. Statt das Geflecht der Werbeindustrie zu entwirren, und jedem Beteiligten in der Wertschöpfungskette Anreize zu geben, weniger aufdringliche Werbung auszuspielen, hat Google den gordischen Knoten schlicht mit der Kraft seiner Marktmacht durchschlagen.

Ob Google mit seiner Initiative Erfolg haben wird, ist genauso ungewiss wie die Frage, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, was Internetnutzer heute auf ihrem Bildschirm, Tablet oder Smartphone sehen. Sind es nur die Verlage, oder eher die Werbedienstleister, oder die werbetreibenden Firmen selbst? Oder obliegt es alleine dem Nutzer, den Schiedsrichter zu spielen? Wessen Freiheit obsiegt, hängt letztlich an der Frage, wer sie am effektivsten durchsetzen kann.

Die Kernfrage ist: Muss der Nutzer akzeptieren, dass ihm Werbung angezeigt wird, wenn er sich informieren möchte? Und wenn sich die Nutzer effektiv sowohl Paywalls als auch der Werbung verweigern – wer bezahlt dann für die gesellschaftlich notwendige Information?

Über den Autor

Torsten Kleinz

Torsten Kleinz ist freier Journalist aus Köln. Seit dem Jahr 2000 schreibt er für zahlreiche Medien zum Spannungsverhältnis zwischen neuen Techniken und Gesellschaft.


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