Internet und Barrierefreiheit

Wie mir mein Computer ein Stück Freiheit schenkt

©iStock.com/erhui1979

Smartphones, Laptops und Co. sind aus unser aller Alltag nicht mehr wegzudenken. Jeder checkt permanent Nachrichten, schreibt mit Freunden oder Kollegen, lässt sich von einer Navigationsapp durch eine fremde Stadt leiten oder spielt einfach ein Spiel, während er auf den Bus wartet. Natürlich nutze auch ich all diese Geräte und Funktionen, doch für mich bieten sie noch ganz andere Möglichkeiten und sind manchmal sogar lebenswichtig.

Aber von vorn: Mein Name ist Victoria Michel, ich bin 23 Jahre alt und studiere Medien- und Sozialwissenschaften. Ich treffe mich gerne mit Freunden, gehe auf Konzerte oder ins Kino. Ich lese gern und früher habe ich es geliebt zu zeichnen und mich so kreativ auszudrücken. Heute schreibe ich lieber. Der einzige Unterschied zu anderen Menschen in meinem Alter ist, dass ich eine Muskelerkrankung habe, weshalb ich das Internet zur Gestaltung meines Alltags nutze.

 

So organisiere ich meinen Alltag

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Es gibt drei Dinge, die ich aktiv tun kann: Meine Arme etwas bewegen, sprechen und – und das ist wohl das Wichtigste – denken. Für alles andere benötige ich einen großen Elektrorollstuhl und rund um die Uhr Unterstützung von meinen Assistentinnen. Ich habe mittlerweile ein zehnköpfiges Team, das sich in 12-Stunden-Diensten abwechselt und gemeinsam mit mir meinen Alltag nach meinen Vorstellungen gestaltet. Um dieses Kleinunternehmen bestmöglich managen zu können, nutze ich überwiegend mein Smartphone und eine teaminterne WhatsApp-Gruppe, in der Dienstpläne, Krankheitsvertretungen etc. besprochen werden. Mein Smartphone kann ich selbstständig bedienen und so ohne weitere fremde Hilfe mit meinem Team kommunizieren. Doch auch in vielen anderen alltäglichen Situationen ist mein Smartphone – meine Schaltzentrale – sehr wichtig. Ich koordiniere damit Termine, schreibe mir Notizen wie Einkaufszettel und nehme Audiodateien in der Uni auf, damit meine Assistentinnen nicht für mich mitschreiben müssen. Ich kann selbst entscheiden, wann ich ans Telefon gehen oder mir etwas aufschreiben möchte, ohne warten zu müssen, dass mir jemand einen Stift gibt oder den Knopf am Festnetztelefon drückt. All das sind Kleinigkeiten, die mir den Alltag deutlich erleichtern, doch wirklich unverzichtbar sind technische Hilfen und das Internet für mich in Bezug auf Studium und Beruf.

 

So arbeite ich

Ich studiere seit dem Wintersemester 2013 an der Ruhr-Universität in Bochum und muss für mein Studium selbstverständlich viele Texte lesen und selbst verfassen. Da ich weder von Hand schreiben noch die Seiten eines Buches selbst umblättern kann, nutze ich dafür meinen Laptop. Mit Hilfe eines kleinen Grafiktabletts, wie es normalerweise von Grafikern und Designern verwendet wird, bediene ich meinen Laptop und schreibe mit einer Bildschirmtastatur. So kann ich in meinem eigenen Tempo und ganz nach Lust und Laune mal konzentrierter und mal weniger konzentriert arbeiten, wie wohl jeder andere Studierende auch.

Viele Texte, die ich für meine Kurse lesen muss, sind mittlerweile auf der universitätseigenen Online-Plattform verfügbar, sodass ich sie alleine nutzen kann. Leider ist aber noch immer sehr wenig Fachliteratur frei online erhältlich, was die Recherche für eigene Projekte wie Hausarbeiten und Präsentationen für mich schwer bis unmöglich macht. Um in der Bibliothek zu recherchieren, muss ich meine Assistentin bitten mir jedes einzelne Buch aus den Regalen zu suchen und die Kapitel, die ich benötigen könnte, einzuscannen, damit ich sie anschließend zu Hause lesen kann. Das kostet viel Zeit und Nerven. Ich würde mir daher wünschen, dass mehr Literatur digital verfügbar gemacht wird oder zumindest die Möglichkeit geschaffen wird, die Texte direkt bei den jeweiligen Verlagen anzufordern. Dies käme nicht nur Menschen in meiner Situation zugute, die mit der Handhabung eines Buches nicht zurechtkommen, sondern vor allem auch sehbehinderten Menschen, die sich die Texte dann per Screenreader vorlesen lassen können. Hier bietet die Digitalisierung und vor allem auch das Internet eine gute Möglichkeit, Informationen für mehr Menschen ohne großen Mehraufwand barrierefrei zugänglich zu machen.

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Doch nicht nur mein Studium wird durch technische Hilfen erleichtert, auch im Berufsleben helfen mir mein Laptop und das Internet sehr: Durch meine Behinderung wird meine Berufswahl selbstverständlich stark eingeschränkt. In der zunehmend digitalisierten Welt, in der wir leben, spielt sie jedoch eine immer geringere Rolle. Immer weniger Berufsbilder erfordern körperliche Arbeit und viele Berufe können dank Internet auch von zu Hause ausgeübt werden. Diese Möglichkeit nutze auch ich seit Anfang des Jahres 2017, indem ich neben meinem Studium bei einer gemeinnützigen Organisation mitarbeite und dort die Öffentlichkeitsarbeit und einige kleinere Projekte mitbetreue. Da die Organisation in Berlin sitzt, ich in Bochum lebe und mit meinem Rollstuhl nicht mal eben in ein Flugzeug steigen kann, wäre diese Arbeit ohne das Internet für mich absolut unmöglich. Dank Skype, Mails und Co. kann ich jedoch auch aus der Ferne Teil des Teams sein und meinen Beitrag leisten. Das funktioniert sogar, wenn mein Rollstuhl kaputt ist, ohne den ich weder mein Bett noch das Haus verlassen kann. Ich bin so ein Stück weit weniger abhängig von meinem Rollstuhl, der mir zwar die größtmögliche Freiheit schenkt, sie mir aber durch den kleinsten technischen Defekt jederzeit auch wieder nehmen kann.

 

So pflege ich soziale Kontakte

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Das Internet hilft mir aber nicht nur, während der Arbeitszeit Kontakte zu pflegen, sondern auch ich nutze, wie die meisten Menschen in meinem Alter, die sozialen Medien. Dort kann ich mich mit Freunden austauschen und für ein Treffen in der realen Welt verabreden, aber der größte Vorteil, den Facebook und Co. für mich haben, liegt im Bereich der sogenannten Selbsthilfe. Viele meiner Freunde aus meinem direkten sozialen Umfeld haben keine Behinderung und ich genieße es sehr, Zeit mit ihnen zu verbringen und über Themen zu sprechen, die mich nicht auf meine Behinderung reduzieren. Schon als Kind hatte ich fast ausschließlich nichtbehinderte Freunde und gehörte immer ganz selbstverständlich dazu. Irgendwann habe ich aber angefangen, Unterschiede zwischen meinen Interessen und denen von Gleichaltrigen ohne Behinderung festzustellen. Bei Treffen mit anderen Muskelerkrankten konnte ich mit ihnen Wettrennen fahren, über die neuesten Rollstühle fachsimpeln und, ohne mich schämen zu müssen, meine „besonderen Bedürfnisse“ kommunizieren, die dort gar nicht mehr besonders waren. Leider fanden diese Treffen höchstens einmal jährlich statt und in der Zwischenzeit war es schwer mit den anderen in Kontakt zu bleiben. Dank Facebook, Instagram etc. kann ich diesen Kontakt heute ganz leicht aufrechterhalten und erreiche mit meinen Fragen und Tipps auch Menschen, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Das erleichtert meinen Alltag enorm, denn wenn ich mal wieder eine Ablehnung von der Krankenkasse bekommen habe oder es Stress in meinem Team gibt, kann ich einfach meine Fragen und Sorgen ins Plenum auf Facebook geben und sie werden innerhalb von kurzer Zeit beantwortet. Der Zuspruch, den ich erfahre, zeigt mir oft, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine bin, und hat mir, besonders während meiner Jugendzeit – als ich noch wesentlich weniger Sozialkontakte hatte als jetzt – zu einem deutlich größeren Selbstbewusstsein verholfen. Ich hatte beispielsweise schon lange den Wunsch, nach meinem Abitur von zu Hause auszuziehen und zu studieren, habe mir aber große Sorgen gemacht, ob und wie das funktionieren könnte. Ein Freund, der in Bochum studierte und mir von seinen Erlebnissen dort berichtete, brachte mich dazu, ebenfalls dort mein Studium zu beginnen und, wie er, Assistenz zu beantragen. Ohne seinen Einfluss hätte ich mich vermutlich erst viel später getraut, ein eigenständiges Leben zu beginnen.

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Der Kontakt mit meinen Freunden aus dem nicht-virtuellen Leben wird auch in einigen Situationen durch das Internet erleichtert: Wenn sie beispielsweise in einer Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug leben, gibt es für mich keine praktikable Möglichkeit, sie zu besuchen. Ich kann zwar getragen und auf einen Sitzsack, ein Bett oder ähnliches gelegt werden, aber besonders wenn noch weitere Menschen anwesend sind, die ich nicht kenne, zum Beispiel bei einer Party, ist mir das eher unangenehm. Zu solchen Gelegenheiten lasse ich mich dann manchmal per Skype zuschalten, um zumindest mit einigen Leuten sprechen zu können, die ich kenne. Natürlich kann dieses Vorgehen niemals die reale Teilnahme an einer Party ersetzen, doch es ist immerhin besser, als komplett außen vor zu bleiben.

 

Was ich mir für die Zukunft wünsche

Die oben genannten Beispiele zeigen recht gut, dass mir das Internet viel Freiheit schenkt und Barrieren teilweise sehr gut ausgleichen kann. Ich kann meinen Computer und somit das Internet glücklicherweise ohne großen Aufwand selbstständig nutzen. Viele Menschen mit anderen Einschränkungen haben diesen Luxus nicht. Für sie wünsche ich mir eine deutliche Verbesserung im Bereich der digitalen Barrierefreiheit, damit auch beispielsweise blinde oder gehörlose Menschen dieses Medium uneingeschränkt nutzen können.

Doch, wie bereits erwähnt, kann virtuelle Teilhabe niemals die im realen Leben ersetzen. Ich wünsche mir daher, dass gerade dort Vorurteile abgebaut werden, damit möglichst bald alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und eben auch Behinderung gleichberechtigt und mit den gleichen Chancen leben können. Um selbst einen Teil zur Umsetzung dieses Wunsches beizutragen, habe ich – inspiriert von anderen tollen Autorinnen und Autoren – vor einigen Jahren ein eigenes Blog mit zugehöriger Facebookseite gestartet, auf dem ich in kurzen Beiträgen über mein Leben berichte. Damit möchte ich sowohl Menschen mit Behinderungen über ihre eigenen Möglichkeiten aufklären, als auch Menschen ohne Behinderungen ein Stück weit ihre Berührungsängste nehmen. Durch das Internet bekomme ich – so wie viele andere Menschen in meiner Situation – endlich eine Stimme, die auch gehört werden kann. Dies trägt direkt zu einem gesamtgesellschaftlichen Dialog bei und führt letztendlich zu mehr Freiheit für alle Menschen mit Behinderungen, sogar außerhalb der digitalen Welt.

 

Lesetipps:

Mein Blog: Vicis wilde Welt

facebook.com/viciswildewelt

 

Liste von Blogs, die ich verfolge:

Kaiserinnenreich 

Rollifräulein

Raul Krauthausen

Laura Gehlhaar

Über den Autor

Victoria Michel

Victoria Michel lebt in Bochum und studiert dort Medien- und Sozialwissenschaften. Sie arbeitet bei der gemeinnützigen Organisation KOPF, HAND und FUSS in Berlin. Auf dem Blog Vicis wilde Welt berichtet sie aus ihrem Leben mit Muskelerkrankung.

Bild: Matthias Steinbrecher


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