Wie Bezahlschranken die Freiheit der Information einschränken

Auf dem Weg in die Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft? 

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Wenn von Freiheit im Internet und deren Bedrohung die Rede ist, denkt man zuerst an Debatten zur Meinungs- oder Pressefreiheit. Angesichts dieser „harten Themen“ scheint ein Bereich der digitalen Kommunikation auf den ersten Blick mit weniger Gefährdungspotential verbunden zu sein: Die Verfügbarkeit von Journalismus im Netz. Zwar wird der freie Zugang durch sogenannte Paywalls  immer mehr beschnitten, doch außerhalb der Verlagsbranche nur wenig diskutiert. Gerade deswegen ergibt sich die Gefahr, dass grundlegende Parameter der politischen Öffentlichkeit im Internet durch die Einführung von Paywalls unbemerkt verschoben werden. Gesellschaftliche Implikationen werden in der Debatte um neue Finanzierungsmodelle für journalistische Inhalte in der Regel ausgeblendet – außer wenn es der eigenen Legitimation dienlich ist. Der vorliegende Beitrag will auf die möglichen Folgen von Paywalls aufmerksam machen und auf den gesellschaftlichen Wert von freien Inhalten im Netz hinweisen.

 

Die Paywall als Lösung und Problem

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Das Internet hat Zeitungsverlagen ein tragisches Schicksal beschert: Sie erreichen online deutlich mehr Menschen als zuvor, haben aber immer weniger davon. In Frage gestellt wird durch das Internet nicht nur, wie journalistische Inhalte heute entstehen, verbreitet und genutzt werden, sondern auch, wie mit ihnen gewirtschaftet werden kann. Verlage suchen seit einiger Zeit nach neuen Erlösmöglichkeiten, um das Finanzierungsproblem des Journalismus im Digitalen zu lösen. Dabei hat sich die Paywall in verschiedenen Ausformungen in den letzten Jahren zum Branchentrend entwickelt. Immer mehr Zeitungen, dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zufolge bereits 205 1, zäunen hierzulande ihre Inhalte ein und sorgen dafür, dass diese uneingeschränkt nur gegen Bezahlung genutzt werden können. Nur auf diese Weise, so die Fürsprecher der Limitierung, könne man der schädlichen „Gratismentalität“ im Internet begegnen. Bei der Legitimation von Paid Content-Modellen wird dann häufig – neben der marktwirtschaftlichen Argumentation – das normative Argument angeführt, dass der Qualitätsjournalismus auf dem Spiel stehe und damit nichts anderes als die Grundlage der demokratischen Gesellschaft in Gefahr sei. Die Digitalstrategien der Zeitungen beschränken sich dann meistens darauf, die Reichweite gewinnbringend und möglichst verlustfrei zu monetarisieren.

Es ist der blinde Fleck aller verlagsseitig geführten Debatten um die Finanzierung von Journalismus im Digitalen, dass Zeitungen den gesellschaftlichen, demokratiefördernden Wert des Journalismus einerseits als gegeben voraussetzen, sich diesen Wert selbst zuschreiben, ihn in einer Art Selbstimmunisierung zur Unverzichtbarkeit erklären, aber dann genau diese Dimensionen bei den Folgen der eigenen Entscheidungen und Modelle vorzugsweise ausblenden. Dabei sind mit Bezahlschranken mediendemokratische Bedenken verbunden, über die – zumindest im deutschen Raum – kaum eine Diskussion geführt wird.

 

Arm und Reich der Information

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Den beiden Autoren Victor Pickard und Alex T. Williams folgend gibt es gleich mehrere  gesellschaftlich relevante Effekte von nicht-freien, also bezahlungspflichtigen Inhalten: Das Prinzip der Offenheit des Internets werde durch Paywalls generell in Frage gestellt. Menschen ohne ausreichende Ressourcen könnten sich zudem weniger gut informieren. Darüber hinaus würde die Bandbreite des öffentlichen, politischen Diskurses geschmälert und die Kommodifizierung des Nachrichtensektors weiter vorangetrieben.2 Die beiden Kommunikationsforscher der University of Philadelphia bewerten die digitalen Schranken sogar als Versuch, „to stop the internet from being the internet“. Schließlich lasse sich eine Information nur schwer davon abhalten, geteilt und verbreitet zu werden. Merja Myllylathi von der Auckland University of Technology in Neuseeland kommt in ihrer Analyse von Paywall-Modellen zu dem Schluss, dass Bezahlschranken das Potential hätten, dem digital divide eine neue soziale Dimension hinzuzufügen, und die Kluft zu vertiefen: „Between those who can afford to pay for news, and those who cannot“.3 Informations-Reiche auf der einen, Informations-Arme auf der anderen Seite. Die Ergebnisse einer Studie von N. Geidner und D. D’Arcy zu Auswirkungen von Paid Content auf das Nutzungsverhalten machen darauf aufmerksam, dass Menschen, die für Inhalte im Netz bezahlen, sich tendenziell auf solche Inhalte beschränken, die ihrem Weltbild entsprechen, was die Gefahr von Informationsblasen und von sozialer Polarisierung erhöhe.4

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Solche Ergebnisse lassen sich zwar nur eingeschränkt auf die deutsche Medienlandschaft übertragen, aber sie werfen ein Schlaglicht auf das zugrundeliegende Problem. Medien und Journalismus haben die Funktion, Öffentlichkeit herzustellen, die Bürger*innen zu informieren, zu deren Meinungsbildung beizutragen und ihnen die Teilhabe an der politischen Diskussion zu ermöglichen. Wenn Journalismus sich diese Funktion zumindest selbst zuschreibt, dann lässt sich nur schwer ausklammern, dass Paywalls die Nutzung journalistischer Inhalte verändern und diese Veränderung Auswirkungen auf das Verhältnis von Medien und Gesellschaft zur Folge hat. Geschäftsmodelle, die der freien Nutzung und Verbreitung von Journalismus im Netz entgegenlaufen, müssen zukünftig auch unter diesen Aspekten beleuchtet werden.

Es geht nicht darum, Marktförmigkeit als strukturierendes Prinzip in Frage zu stellen und medienökonomische Zwänge und Erfordernisse auszublenden, sondern – von der ganz anderen Seite her – daran zu erinnern, dass das Verhältnis zwischen Journalismus, Publikum und Gesellschaft nicht allein anhand der ökonomischen Dimension ausgelotet werden kann. Vor allem, wenn es um Fragen der Selbstverortung in meinungsbildenden Prozessen und um die gesellschaftliche Funktion von Qualitätsmedien geht. Dass die Branche in weiten Teilen die Paywall zu ihrem Lebensretter auserkoren hat, kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass andere Formen der Finanzierung möglich sind (z.B. Spendenmodelle, Crowdfunding) und journalistische Experimente auch ohne Beschränkung des Zugangs erfolgreich sein können (z.B. De Correspondent, Correctiv). Das Internet ist nicht nur ein Marktplatz für wirtschaftliche Transaktionen, sondern beinhaltet vielfältige Freiräume und Chancen, mehr Menschen die Teilhabe an politischer Kommunikation zu ermöglichen und freiheitliche und demokratische Aspekte politischer Kommunikation zu stärken. Je mehr journalistische Inhalte im Netz frei verfügbar sind, umso eher größer werden diese Chancen.

 

Im Notfall: Paywall runter

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Wie wichtig ein freier Zugang zu Information sein kann, lässt sich am Beispiel von öffentlichen Notfällen in den USA beobachten, bei denen die Paywall abgeschaltet wurde. Mike Ananny und Leila Bighash zählen in ihrer Untersuchung allein 21 Fälle aus den letzten Jahren, in denen Bezahlschranken aufgrund eines öffentlichen Notfalls – wie z.B. dem Attentat auf den Boston Marathon – ausgesetzt und der Informationsbedarf der Bevölkerung gestillt wurde. „When paywalls are temporarily dropped … they reveal debates about when and why news should be free“.5 Auch in Deutschland lassen sich solche Dropdowns beobachten, wie zum Beispiel während des Orkantiefs „Friederike“ bei der Rheinischen Post. Im Moment des Notfalls wird deutlich, dass sich die journalistische Information nicht in ihrem warenförmigen Charakter erschöpft, sondern Anteile eines öffentliches Gutes besitzt. Bezahlschranken auszubauen würde bedeuten, diesen Charakter zu schmälern.

Informationen zur Verfügung zu stellen und die öffentliche Debatte zu bereichern sind die implizite Grundlagen jeder journalistischen Selbstlegitimierung. Wenn ein gesellschaftlich relevanter Journalismus hinter Bezahlschranken verschwindet, dann muss danach gefragt werden, inwieweit dadurch die Hindernisse zur Teilhabe an Prozessen der politischen Meinungs- und Willensbildung erhöht werden. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie die Gleichung „Mehr Bezahlschranken führen zum Erhalt der Qualitätsmedien und damit zu mehr Demokratie in der Gesellschaft“ ohne Verluste und blinde Flecken aufgehen soll. Journalismus ist für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar. Er wirkt ganz entscheidend dabei mit, demokratische Öffentlichkeit herzustellen und sorgt dafür, dass das Selbstgespräch der Gesellschaft funktioniert. Eine möglichst große Zahl von freien journalistischen Inhalten im Netz und die möglichst schrankenlose Teilhabe am öffentlichen Diskurs scheint in dieser Perspektive als erstrebenswertes Ziel, damit das Selbstgespräch nicht zunehmend hinter Mauern stattfindet.

 

Literaturverzeichnis

Ananny M. & Bighash L. (2016). Why Drop a Paywall? Mapping Industry Accounts of Online News Decommodification, International Journal of Communinication 10(2016), 3359–3380.

http://www.amic.media/media/files/file_352_1039.pdf

BDZV (2017): Paid Content Angebote Deutscher Zeitungen. Berlin.
https://www.bdzv.de/maerkte-und-daten/digitales/paidcontent/

BERG, ACHIM (2016): Digitalisierung der Medien. Berlin. Online abrufbar unter: https://www.bitkom.org/Presse/Anhaenge-an-PIs/2016/Juni/Bitkom-Charts-PK-Digitalisierung-der-Medien-22-06-2016-final.pdf

Geidner, N. & D’Arcy, D. (2015). The effects of micropayments on online news story selection and engagement. New Media & Society, 17(4), 611–628.

http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1461444813508930

Göldi, A. (2011): „Alles gratis“ – Das psychologische Problem der Internetbranche. In: Krone, Jan (Hrsg.): Medienwandel kompakt 2008-2010. Schlaglichter der Veränderung in Medienökonomie, -politik, -recht und Journalismus – ausgewählte Netzveröffentlichungen. Baden-Baden: Nomos, S. 190-194.

Kansky, H. (2015): Paid Content-Modelle in der Übersicht. In: Breyer-Mayländer, Thomas (Hrsg.): Vom Zeitungsverlag zum Medienhaus. Geschäftsmodelle in Zeiten der Medienkonvergenz. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 83-102.

Kiefer, M.L. & Steininger, C. (2014): Medienökonomik. 3. Auflage. München: Oldenbourg.

Myllylahti, M. (2014). Newspaper paywalls—the hype and the reality: A study of how paid news content impacts on media corporation revenues. Digital Journalism, 2(2), 179–194.

http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/21670811.2013.813214

Pickard, V. & Williams, A. T. (2014). Salvation or folly? The promises and perils of digital paywalls. Digital Journalism, 2(2), 195–213.

http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21670811.2013.865967?scroll=top&needAccess=true

Über den Autor

Ilija Matusko

Ilija Matusko, geboren 1980, studierte Soziologie und Politikwissenschaften. Er betreut das Projekt taz.zahl ich bei der taz.die tageszeitung – das Modell setzt auf freiwillige Beteiligung und Selbstbestimmung im Netz.


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